CONVERSATIONAL BUSINESS – DIE KARTEN WERDEN NEU GEMISCHT: DER KAMPF UM DAS NEUE DIGITAL ECO-SYSTEM
Wer das direkte Interface zum Kunden in Form eines eigenen Bots hat, der Konsumentenpräferenzen und -verhalten über alles Lebensbereiche kennt, bestimmt Informationen, Werbung und Käufe. Wählt der Konsument bei einer Google-Suche oder einer Amazon-Produktsuche noch selber aus den Trefferlisten seine Favoriten aus, reduziert sich die Bot-Empfehlung in der Regel auf ein Produkt oder eine Information. Die Bot-Souveränität ersetzt damit die aktive Evaluierung durch den Konsumenten. Ähnlich der App-Ökonomie, die durch starke Player wie Google und Amazon in Fahrt kam, wird es auch in der Bot-Ökonomie einen Industrie-Leader benötigen. Eine reine Analogie zum App Store wird jedoch nicht ausreichend sein. Ein Bot Store würde wieder in den Anwendungssilos verhaftet sein und der Bot-Logik als Schmierstoff für ganzheitliche Transaktionen nicht gerecht werden.
Für die Unternehmen ergeben sich mit der tiefen Verzahnung in das Eco-System des Kunden einzigartige Möglichkeiten der Datengewinnung und -analyse. Durch die Zentralisierung und Monopolisierung der Kundenschnittstelle können Unternehmen den Konsumenten auf Basis umfassender Präferenzen- und Verhaltensprofile in seiner Commerce Bubble einlullen. Natürlich haben Unternehmen schon immer Daten über Konsumenten analysiert, um Produkte und Kommunikation auf Zielgruppen auszurichten und um so möglichst profitabel zu sein. Es ist auch völlig legitim, dass Unternehmen gemäß ihres Gewinn-Maximierungs-Ansatzes agieren. Nur treffen sich Unternehmen und Konsumenten zunehmend nicht mehr auf klassischen Märkten, sondern der Anbieter internalisiert in gewisser Weise den Markt. Amazon ist schon lang kein Händler von Produkten mehr, sondern ein smartes Ökosystem, das intelligent Daten erfasst, analysiert und nutzt, um so den Konsumenten in der eigenen Commerce Bubble zu halten.
MÄRKTE WERDEN ENDLICH GESPRÄCHE
Märkte sind Gespräche reloaded: Das 1999 im Clutetrain Manifest formulierte „Märke sind Gespräche“-Postulat wird vor dem Hintergrund des Conversational Commerce neu interpretiert. Kommunikation und Interaktion werden zunehmend über Algorithmen gesteuert und bestimmt. Der Vorteil dabei ist, dass die aus Sicht des mündigen Konsumenten geforderten Gespräche mit Unternehmen jetzt „at scale“ möglich sind. Bots arbeiten beliebig parallel im 24/7/365-Modus. Einer personalisierten Konversation standen häufig Wirtschaftlichkeits- und Effizienzhindernisse seitens der Unternehmen entgegen. Auf der anderen Seite bedeutet der pseudo-menschliche Dialog einen Verlust an Empathie und Emotionen. Es geht dabei jedoch weniger um das klassische Mensch-versus-Maschine-Battle, sondern vielmehr um die intelligente Orchestrierung und Balancierung beider Ansätze.
Natürlich ist die Computerisierung und Algorithmisierung im E-Commerce nicht neu. Google bestimmt schon lange, welche Produkte wir sehen, Facebooks News-Algorithmus entscheidet über unseren Newsfeed und Realtime Bidding steuert, welche Werbung wir zu sehen bekommen. Neu ist jedoch der Umfang der algorithmischen Abdeckung über die gesamte transaktionale Wertschöpfungskette. Zudem verringert die sich immer weiter verbreitende „Mehrwert-gegen-Daten“-Mechanik die Konsumentenhoheit. Damit werden die maßgeblich durch das Internet erzielte Konsumenten-Souveränität in Form von Transparenz und die Möglichkeit, Unternehmen und Produkte für alles sichtbar zu bewerten, gefährdet.
Eine Art Bot-Souveränität ersetzt die Konsumenten-Souveränität. Da die heutigen und zukünftigen Bots insbesondere von der GAFA (Google/Amazon/Facebook/Apple)-Unternehmenswelt angeboten bzw. von Unternehmen auf deren Plattformen entwickelt werden, besitzt der Konsument keine wirkliche Souveränität mehr. Die GAFA-Bots bieten ihm Convenience, ohne dafür direkt bezahlen zu müssen. Wirklich souverän entscheidet der Konsument dann aber nicht mehr.
Es ist zu erwarten, dass im Laufe der nächsten Jahre ein Umschwung innerhalb des Conversational Commerce in Deutschland zu beobachten sein wird – den Beispielen aus China und den USA folgend. Mutmaßlich werden viele Online-Geschäfte Bots nutzen, um ihren Kunden einen besseren und schnelleren Service anzubieten. Wie weit sich der Conversational Commerce über die verschiedenen Branchen ausweiten wird, ist noch unklar. Klar ist, dass sich die Bots stetig verbessern werden und dass die Antwort- und Empfehlungs-Algorithmen weiter verfeinert werden. Langfristig ist mit einer optimal individuellen und automatisierten Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen zu rechnen, die sowohl Vorteile für die Kunden als auch die Unternehmen hat.
Insgesamt wird ein zunehmend datengetriebenes und analytisches Business die Frage nach der richtigen Balance zwischen Automatisierung und persönlicher Interaktion beantworten müssen. Es bleibt abzuwarten, wer das milliardenschwere Rennen im Conversational Commerce gewinnen wird. Ebenso spannend sind die entsprechenden Implikationen für den Konsumenten. Wird er gestärkt durch entsprechende Bot Power in Form digitaler Assistenten hervorgehen, die seine tatsächlichen Präferenzen kennen und entsprechend vertreten, oder wird er vielmehr noch stärker Spielball eines perfekt designten Daten- und Analytik-Ökosystems der digitalen Giganten? Damit befinden wir uns nach Internet, Mobile und IoT in der sicherlich spannendsten Phase unserer digitalen Transformation.
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