Der Conversational Commerce wird hauptsächlich von den großen Internetunternehmen vorangetrieben, die einen Messenger und/oder Chatbots betreiben, wie Facebook, WhatsApp, Telegram, Slack, Apple und Microsoft. Der Fortschritt im Conversational Commerce wird dabei in erster Linie von zwei Entwicklungen geleitet: Einem Kommunikationstrend und dem Aufschwung der Künstlichen Intelligenz. Ersteres ist an der Popularität der Messaging-Dienste zu erkennen, deren Nutzung explosionsartig zunimmt. Apps und Dienste, die zur Kommunikation mit Freunden und Bekannten dienen, haben sich – anders als die meisten anderen Apps – etabliert. Da der Anteil an Mobil Natives (Nutzer, die mit mobilen digitalen Diensten aufgewachsen sind) stetig zunimmt, wird die Nutzung von Messaging-Diensten vermutlich weiterhin zunehmen. Aufgrund der großen Anzahl an Menschen, die Messaging Apps nutzen, ist es der nächste logische Schritt für Unternehmen, ihre Dienste dort anzubieten. Anstelle die Kunden zu überzeugen, eine neue App zu installieren, holen die Unternehmen ihre Kunden dort ab, wo sie bereits zu finden sind, da das Chatten schon in den Alltag integriert ist. Auch die Entwicklung im Bereich der AI macht die Existenz und Weiterentwicklung von Conversational Commerce möglich, zum Beispiel hinsichtlich der Leistung der Spracherfassung, die jährlich um 20 % zunimmt. Heutzutage ist es bereits möglich, 90 + Prozent der gesprochenen und getippten Sprache zu erfassen, dank der Verarbeitung natürlicher Sprache, auch Natural Language Processing genannt.
Abgesehen von den erläuterten zwei wesentlichen Kriterien für das Wachstum des Conversational Commerce gibt es weitere Trends, die dessen Fortschritt begünstigen. Ein Beispiel ist die sogenannte Quantified-Self-Bewegung, welche auch als Lifelogging bezeichnet wird. Sie bezeichnet Menschen, die personenbezogene Daten über den Tag aufzeichnen und analysieren, wie etwa konsumiertes Essen, Luftqualität, Gemütszustand, Blutsauerstoffwerte sowie die mentale und physische Leistung. Teilweise ermöglichen Wearables, also am Körper tragbare Geräte, das Aufzeichnen dieser Werte, zum Beispiel durch im Stoff der Kleidung verarbeitete Elektronik und Sensoren.
Zusammen mit den Fortschritten im Feld der Data Science hat dieser Trend das Potenzial, die Kundeninteraktionen im Conversational Commerce zu personalisieren sowie die Bedürfnisse des Konsumenten vorherzusehen. Essenziell für den Vollzug von gesamten Kaufprozessen im Rahmen des Conversational Commerce ist die Integration von nahtlosen Zahlungstechnologien. Diese sind für Drittanbieter auf einschlägigen Messaging-Plattformen in immer größerem Ausmaß durch APIs verfügbar.
Beispiele von Conversational Commerce
Die wohl älteste Implementierung von Conversational Commerce hat durch WeChat stattgefunden, ein mobiler plattformübergreifender Messaging-Service aus China, der 2011 von der Holdinggesellschaft Tencent ins Leben gerufen wurde. Über WeChat können mit Freunden und Bekannten kommuniziert sowie Services von unzähligen Unternehmen genutzt werden. Man kann unter anderem Taxis rufen, Essen bestellen, Kinokarten kaufen, Arzttermine buchen, Rechnungen bezahlen und das tägliche Fitnessprogramm aufzeichnen. WeChat ist eine chatbasierte Oberfläche mit vielen zusätzlichen Features, wie mobilem Zahlen, chatbasierten Transaktionen, Medien und interaktiven Widgets.
Durch ein leistungsfähiges API ist es für die unterschiedlichsten Unternehmen möglich, sich mit ihren Kunden „anzufreunden“. Mehr als zehn Millionen Unternehmen sind der Chat-Plattform angeschlossen, und die Popularität unter Kleinunternehmen steigt.
Im Gegensatz zu den USA und Europa, wo bisher Services meist in spezifischen Apps angeboten werden, hat man in China schon viel früher auf das Vereinen von Messaging und Konsum gesetzt. Inzwischen ist WeChat einer der größten alleinstehenden Messaging Apps im Hinblick auf die Zahl der aktiven Nutzer: Anstatt wie in den USA und Europa bestehende Infrastrukturen zu ändern, kann man in China viele Märkte erstmals durch mobile Applikationen und Bezahlsysteme erschließen.
Facebook hat 2016 anderen Unternehmen die Türen zum hauseigenen Messenger geöffnet, indem sie eine komplette Chatbot API in die Plattform integriert haben. Mark Zuckerberg begründete die Entscheidung folgendermaßen: „Ich kenne niemanden, der es mag, ein Unternehmen anzurufen. Und niemand möchte eine neue App für jedes Geschäft oder jeden Service installieren. Wir finden, dass es jedem ermöglicht werden sollte, einem Unternehmen zu schreiben, in gleicher Weise wie man einem Freund schreiben würde“. Eine Übersicht der unterschiedlichen Chatbots, die schon im Umlauf sind, ist auf der Webseite botlist.co erhältlich. Ein oft genanntes Beispiel aus den USA ist die Integration des Taxidienstes Uber in den Messenger. Durch einen Klick auf die im Messenger versandte Adresse öffnet sich ein Menü, das unter anderem die Option „Request a ride“ vorschlägt. Falls es verfügbare Fahrer gibt, kann das Taxi im nächsten Schritt über einen Klick bestellt werden. Die Fahrt wird dabei automatisch über eine Kreditkarte verrechnet, die im Vorhinein für alle Services konfiguriert wurde. Die Benutzeroberfläche des Facebook Messenger API ermöglicht auch das Einbinden von Karten, Produktfotos und anderen interaktiven Elementen in die Chatkonversation.
Herausforderungen für den Conversational Commerce
Alle Chatbots funktionieren auf ähnliche Art und Weise, sie beruhen auf dem Abgleich von Mustern im Text und reagieren auf bestimmte Stichwörter. Doch vor welchen Herausforderungen stehen die zurzeit aktiven Chatbots, und warum ist der Conversational Commerce noch nicht üblicher?
Ein Grund scheint zu sein, dass die Integration von AI noch nicht weitgehend verwirklicht worden ist. So kritisiert der Autor eines Artikels in der Zeitschrift c’t, dass es derzeit noch keinen Bot gibt, der die Interessen und Vorlieben der Anwender erlernen und proaktiv tätig werden kann, ohne vom Anwender getriggert zu werden.
In einem Beitrag in der Zeitschrift Absatzwirtschaft beschreibt der Verfasser, dass die Integration von AI in Bots noch hinterherhinke.
Über das Beobachten der Entscheidungen und Aktivitäten könnten die Bots den Nutzer besser kennenlernen. Eine andere Herausforderung sieht der Autor in der Anpassungsfähigkeit des Bots; das Programm sollte in der Lage sein, die eigenen Einstellungen äußeren Einflüssen anzupassen. Ein anderer Anspruch an Bots ist, dass sie vorausschauend agieren und Abläufe auf eigene Initiative hin starten, wie zum Beispiel den Benutzer zu erinnern, Kaffee zu kaufen. Auch sozial sollen die Bots werden, sodass sie untereinander eine Art „soziales Leben“ entwickeln und miteinander kommunizieren können. Fraglich ist jedoch, ob dies die Gründe dafür sind, dass der Conversational Commerce noch nicht weiter verbreitet ist, nicht zuletzt in Deutschland. Technisch ist die Lernfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Vorausschaubarkeit von Chatbots durchaus realisierbar.
So gibt es für Entwickler eine große Zahl von Bibliotheken, um die Lernfähigkeit und Vorausschaubarkeit der Chatbots zu integrieren.
Vor- und Nachteile des Conversational Commerce
Selbstverständlich bringt die Anwendung von Chatbots im Conversational Commerce viele Vorteile nicht nur für Konsumenten, sondern auch für die Unternehmen mit sich. Die menschenähnlichen Konversationen, der bessere und schnellere Service sowie die Präsenz der Marke können zu einer engeren Kundenbindung führen. Viele Konsumenten schätzen die speziell auf sie zugeschnittenen Dienste. Durch die verbesserten Dienstleistungen steigt letztendlich die Zufriedenheit beim Kunden. Auch der Ruf und die Bekanntheit der Marke oder des Unternehmens können gesteigert werden. Außerdem erhalten Unternehmen mehr Einblick in die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden sowie in den Kaufprozess und -kontext.
Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Conversational Commerce auch Nachteile oder potenzielle Probleme mit sich bringen kann. Ein Beispiel sind Bedenken der Konsumenten hinsichtlich Datenschutzes und Privatsphäre. Chatverläufe an Firmen zu übertragen, ist mit dem deutschen Recht nicht vereinbar. Auch könnte sich die Wahrscheinlichkeit für Datenmissbrauch erhöhen, da sich Kriminelle Zugang zu Zahlungsdaten und weiteren Informationen verschaffen könnten. Unklar ist bisher auch, wie transparent mit der Aktivität von Robotern im Conversational Commerce umgegangen werden soll. Soll den Konsumenten mitgeteilt werden, dass sie gerade mit einem Bot chatten? Da telefonische Kundenbetreuung durch den Einsatz von Chatbots an Bedeutung verlieren wird, ist auch mit einem Stellenabbau zu rechnen. Für Firmen ist es daher wichtig, Strategien zu entwickeln, um Frustrationen bei den Angestellten zu vermeiden, beispielsweise durch das Finden neuer Arbeitsplätze innerhalb der Firma.